Harald Werner - Alles was links ist
 

Der Stammtisch wandert ins Netz

Es hat schon immer Sekten und Stammtischrunden gegeben, in denen Verschwörungstheorien geboren und Gerüchte weiter erzählt wurden. Allerdings blieb die Wirksamkeit dieser überwiegend kleinbürgerlichen und von Ressentiments beherrschten Szene unter sich und hatte nur wenige Chancen, die Öffentlichkeit zu erreichen. In Berührung mit ihnen kam man nur durch persönliche Kontakte und wer einigermaßen klar im Kopf war, zog sich schnell auch wieder zurück. Wurden von diesen Zirkeln tatsächlich schriftliche Traktate verfasst, war ihre Verbreitung ebenso aufwendig, wie beschränkt. Heute braucht niemand mehr einen Stimmtisch, um Verschwörungstheorien oder dumpfsinnige Gesellschaftsbilder zu verbreiten, sofern er nur einen PC samt Internetanschluss sein eigen nennen darf. Heute kann jeder, besoffen oder einfach nur durchgeknallt, sein Publikum erreichen, ohne auch nur im Geringsten um seine Reputation oder körperliche Unversehrtheit fürchten zu müssen. Ganz davon abgesehen, dass man, mit sich und seinem PC alleine gelassen, sehr viel weniger Rücksicht auf die Meinung oder die Einwände anderer nehmen muss, als im persönlichen Gespräch. Und Zustimmung ist leicht zu haben: Ein paar Dutzend Netzbesucher, die  „gefällt mir“ anklicken, gibt es immer. So hat auch noch der einsamste Mitmensch oder größte Wirrkopf das Gefühl öffentlicher Akzeptanz. Der Lohn des Künstlers ist der Applaus, auf Facebook wird man durch Likes belohnt.

 

Wahrheit ist was man glauben will

In den letzten zwei Wochen gab es zwei Fälle, in denen die Netzkommunikation direkt in die Politik eingriff. Der erste war der oben zitierte des 13 jährigen russlanddeutschen Mädchens Fall, das angeblich von arabisch aussehenden Männern entführt und vergewaltigt und angeblich von der Polizei vertuscht wurde. In den russischen Medien angebliche der Vorfall eine Flut der Empörung aus, der Moskauer Außenminister schrieb eine scharfe Note an seinen Amtskollegen Steinmeier und in Deutschland rotteten sich rechte „Wutbürger“ zusammen, um die gegen die angebliche Gefährdung ihrer Kinder und Frauen durch vorgeblich arabische Flüchtlinge zu demonstrieren. Die NPD wartete nicht lange, um zu einem „internationalen Konvent der Russlanddeutschen“ aufzurufen. Es gab das 13 jährige Mädchen und es war tatsächlich 30 Stunden verschwunden, aber es hatte sich bei seinem Freund versteckt. Das Problem an solchen Fällen ist, dass Polizei und Staatsanwaltschaft, auf Grund des Jugendschutzes, der Öffentlichkeit keine Details mitteilen dürfen. Was umgekehrt von denen, die den Vorfall gerne glauben wollen, als Vertuschung interpretiert wird. Wie sagte doch eine vom NDR interviewte Frau: „Ob Wahrheit oder nicht, ich glaube die Geschichte.“[1]

Der zweite Fall, eines netzbasierten Eingriffs ist in die Politik, ist nicht weniger problematisch, wenn auch aus anderen Gründen. Ein Berliner Flüchtlingshelfer schilderte via Facebook den Tod eines Flüchtlings, der angeblich wegen Unterkühlung in einem Krankenhaus gestorben sein sollte. Sofort gab es eine angebliche Regierungskrise und der Rücktritt des verantwortlichen Senators war stündlich zu erwarten. Nichts daran war wirklich geschehen, aber die Meldung passte in die negative Stimmung gegenüber den Flüchtlingsbehörden. Noch nie war es so leicht, dass ein Einzelner durch ein Gerücht oder eine Falschmeldung große Politik machen konnte.

Abgesehen von dem Berliner Vorfall, wird die digitale Verbreitung erfundener Horrornachrichten von Rechts beherrscht. NPD und Pegida haben längst erkannt, dass sich die Stimmung in Sachen Flüchtlingskrise am besten kippen lässt, wenn man den offenen oder unterschwelligen Ängsten der Menschen Nahrung gibt. Und da mangelt es in jüngster Zeit nicht an Gerüchten, die auf erschreckende Weise an die von den Nazis über die Juden verbreiteten Horrorszenarien erinnern. Da werden Kindern von Migranten die Ohren abgeschnitten, eine Fünfjährige soll sogar von Asylbewerbern verspeist worden sein, einem Bauern werden von Asylbewerbern  Schafe geklaut, um sie heimlich zu schächten und natürlich immer wieder Vergewaltigungsgeschichten aus der Nähe von Flüchtlingsunterkünften, einmal trifft es Mädchen auf dem Schulweg, ein andermal ist der Tatort eine Tiefgarage und immer wieder beflügeln solche Horrormeldungen die Demonstrationen von Pegida und ähnlichen Brunnenvergiftern. Das Gegenteil lässt sich meistens wegen der unklaren Beschreibung nicht beweisen. Anders war das nur, als die Nachricht verbreitet wurde, dass im baden-würtembergischen Meßstetten ein Supermarkt von Flüchtlingen total ausgeplündert und anschließend geschlossen werden musste. Der Geschichte lag kein Körnchen Wahrheit, noch nicht einmal ein heimlicher Ladendiebstahl, zu Grunde. Doch obwohl die Geschichte in der baden-würtembergischen Öffentlichkeit in wenigen Tagen zu einer Lachnummer geworden war, geisterte sie weiter durch die Netze und ging auf den rechten Demos von Mund zu Mund.[2]

 

Die Eskalationsschraube und der Verlust des Zusammenhangs       

 

Im Netz dominieren die Gesetze des Marktes: Erfolg hat, wer ein aktuelles Publikumsbedürfnis befriedigt, gängige Emotionen mobilisiert und seine Konsumenten intellektuell nicht überfordert. „Um darauf hinzuweisen, dass man existiert“, so schreibt die amerikanische Psychologin in ihrem Buch „Alone togehther“, muss der Netzkommunikator „ein deutlich höheres Lärmniveau…als im wahren Leben“ entwickeln, weil er nur so Wirkung erzielt und Aufmerksamkeit findet.[3] Das gilt erst für den Urheber der Nachricht und danach für jeden darauf folgenden Eintrag, der zur Kenntnis genommen werden will. Diese digitale Eskalationsschraube kann sich vor allem deshalb so schnell drehen, weil der allein mit seinem PC oder Smartphone beschäftigte Urheber jegliche Hemmung fallen lassen kann. Nimmt man sich im persönlichen Gespräch noch einigermaßen zurück, um nicht den Eindruck eines Fanatikers zu wecken, sind im Netz Übertreibungen und Zuspitzungen nicht nur erlaubt, sondern auch notwendig, um wahrgenommen zu werden.

Gleichzeitig korrespondiert die Pluralität der im Netz verbreiteten Meinungen mit einer gewissen Beliebigkeit der verwendeten Fakten, zitierten Autoritäten und bemühten Theorien. Die Vielfalt der zugänglichen Informationen und Dokumente ermöglicht einerseits eine kreative, andererseits aber auch eine völlig zusammenhanglose Montage von Denkrichtungen, Kulturen und ästhetischen Produkten. Dank Google und Wikipedia kann man alles wissen ohne es gelernt zu haben und über alles reden ohne es zu verstehen. Mit „copy and paste“ kann jeder den Anschein wissenschaftlicher Kompetenz erwecken, ohne jemals die Texte gelesen und auch verstanden zu haben, aus denen er zitiert. Die Unerschöpflichkeit des digitalen Fundus bietet der geistigen Arbeit zwar neue Möglichkeiten, begünstigt gleichzeitig aber einen unerschöpflichen Dilettantismus und Eklektizismus.    

 

Die Schwierigkeiten der Linken im Netz

Schwer vorstellbar, dass linke Bewegungen oder Parteien den oben beschriebenen   Marktgesetzen der sozialen Netze genügen können ohne ihre intellektuelle Substanz zu verlieren. Natürlich brauchen die Linken ihren eignen Raum im Netz und können auch nicht auf die Nutzung der Netzwerke verzichten. Doch zu glauben, dass die digitale Präsens mehr leistet, als die enge oder weitere Anhängerschaft zu informieren und im aktuellen Fall auch zu mobilisieren, ist eine Illusion. Überzeugungsarbeit und kritische Auseinandersetzung verlangen persönliche Rede und Gegenrede, Aufmerksamkeit auch und die ganze Bandbreite menschlicher Kommunikation. Denn im persönlichen Gespräch sendet jeder Mensch durch Stimmlage, Mimik und Gestik ungleich mehr Signale aus, als durch jeden noch so guten Text – von den üblichen Satzfetzen bei facebook & Co ganz abgesehen. Das Netz ist in dieser Hinsicht ausgesprochen informationsarm. Zudem haben neurowissenschaftliche Untersuchungen gezeigt, dass selbst Videokonferenzen weniger Signale aussenden, als ein Gespräch zwischen leibhaftig anwesenden Menschen. Abgesehen davon besteht der „soziale Kitt“ einer Partei oder Bewegung nicht nur aus rationalen Einsichten, sondern sollte auch das schlichte Bedürfnis nach Gemeinsamkeit befriedigen. Denn wer eine Veranstaltung besucht oder an einer Demo teilnimmt, den interessiert neben dem aktuellen Anlass auch die Tatsache, Freundinnen und Freunde zu treffen. Wobei man auch dabei häufig deutlich mehr erfährt, als auf einer Internetseite und intensiver kommuniziert, als in einem sozialen Netzwerk.

 

Harald Werner 01.02.16

 


[1] Süddeutsche Zeitung, 28. Januar 2016, S.2

[2] Alle Meldungen aus der Süddeutschen Zeitung a.o.O.

[3] Süddeutsche Zeitung 30/.31. Januar 2016, S. 13


[angelegt/ aktualisiert am  09.02.2016]