Harald Werner - Alles was links ist
 

Eine etwas andere Partei

Mein Beitrag „Seien wir mal ehrlich..“ hat Wellen geschlagen: In wenigen Tagen über 300 Klicks auf meiner Homepage, einige Dutzend zustimmender Mails und drei spontane Telefonanrufe, aber auch Kritik von Christina Kaindl, der Leiterin der Grundsatzabteilung in der Bundesgeschäftsstelle. Und jetzt? Brecht würde sagen, „der Vorhang zu, das Publikum betroffen und alle Fragen offen.“ Damit nicht alles offen bleibt, hier einige Vertiefungen und auch Vorschläge.

 

Warum die LINKE keine „normale Partei“ ist

Wenn die LINKE anders als andere Parteien sein will, sollte man mit einer Kritik des bestehenden Parteiensystems beginnen. Denn Politikverdrossenheit, rückläufige Wahlbeteiligung und Mitgliederschwund müssen ja Ursachen haben, die offenbar von der Art und Weise verursacht werden, wie dieses Parteiensystem funktioniert. Von daher verbietet es sich der LINKEN von vornherein, nur das besser zu machen, was die anderen Parteien bereits seit langem praktizieren. Zum Beispiel sich den Marktmechanismen der Medien zu unterwerfen, sich auf die Präsentation telegener Persönlichkeiten zu beschränken und es für Kommunikation zu halten, wenn man das Wahlvolk mit „politischen Botschaften“ berieselt. Wobei sich diese Botschaften in den Tagesnachrichten auf maximal 25 Sekunden beschränken müssen, während dem Börsenbericht mindestens die doppelte Sendezeit eingeräumt wird.

Die Kritik an den Marktmechanismen des Fernsehens heißt freilich nicht, dass die LINKE dort nicht präsent sein muss, aber diese Präsenz darf erstens nicht überschätzt werden und zweitens muss man sich auch ihrer Probleme bewusst sein. Wer sich den Gesetzen der eindimensionalen Medienkommunikation unterwirft, muss sich zwangsläufig auch ihren Zugangsanforderungen anpassen. Man muss Nachrichten mit einem Neuigkeitswert liefern, der Einschaltquoten und Auflagen in die Höhe treibt, die kurz wie eine Twittermeldung sind und am besten auch noch für eine anschließende Skandalisierungsspirale taugen. Auch sind eindrucksvolle Inszenierungen gefragt, telegene Auftritte und emotional aufgeladenen Bilder, die scheinbar mehr als tausend Worte sagen. Nichts erklärt die herrschende Politikverdrossenheit besser, als dass Politik heute weniger gemacht als eben nur inszeniert wird.

Nicht, dass die LINKE auf Medienkompetenz verzichten kann, doch es gibt mindestens drei entscheidende Gründe, weshalb sie hier selten punkten kann. Erstens natürlich auf Grund einer unübersehbaren medialen Blockade der LINKEN durch einige Leitmedien und zweitens weil sich das, was die LINKE zu sagen hat, meistens nicht ohne Substanzverlust zusammenschrumpfen lässt. Die Methoden mit denen man Marken etabliert, Stars aufbaut oder Einschaltquoten generiert, eignen sich ausschließlich für Botschaften mit kurzem Verfallsdatum oder für provokante Aufreger von der Marke Seehofer. Drittens aber kann die LINKE mit ihren Inhalten nicht wie andere auf dem Alltagsbewusstsein surfen, weil sie dieses Bewusstsein zunächst überwinden muss. Dagegen schaffen es die so genannten Volksparteien, welche eigentlich Allerweltsparteien heißen müssten, weil sie aller Welt etwas zu bieten haben und mit Leichtigkeit mal das eine und dann wieder das gegenteilige Interesse bedienen. Wobei diese Beliebigkeit nicht unwesentlich dazu beigetragen hat, dass das Wahlvolk die etablierten Parteien inzwischen für austauschbar und konturlos hält. 

 

Wir brauchen mehr Gespräche aber auch mehr Gesprächskompetenz

Wodurch also müsste die LINKE eine andere Partei sein? Mit Sicherheit nicht durch Verzicht auf mediale Wirksamkeit, aber durch eine Strategie, die dort beginnt, wo das Verfallsdatum der kurzatmigen Medienbotschaften endet, nämlich bei der Organisation von Gesprächen. Nur durch Rede und Gegenrede lassen sich Widersprüche auflösen, Menschen überzeugen und resignative Tendenzen überwinden. Schließlich mangelt es den meisten Menschen nicht am Unbehagen über die bestehenden gesellschaftlichen Zustände oder an Ängsten, dass es noch schlimmer kommen könnte. Aber sie haben sich daran gewöhnt, das Ungewöhnliche gewöhnlich zu finden und es für unveränderbar zu halten. Deshalb kommen wir keinen Schritt weiter, wenn wir uns darauf beschränken, die zunehmende Ungerechtigkeit als noch katastrophaler darstellen oder Alternativen zu versprechen, die mindestens eine Regierungsbeteiligung, auf jeden Fall aber ein massenhaftes Bedürfnis nach gesellschaftlichem Wandel voraussetzen. Denn Sozialisten nützt die Mehrheit im Parlament überhaupt nichts, so lange sie nicht im Notfall auch die Mehrheit auf der Straße hinter sich haben.

Die LINKE muss auch dadurch anders sein, dass sie vor allem eine erklärende und keine belehrende Partei ist. Denn in einer Zeit zunehmender Unübersichtlichkeit ist nichts mehr gefragt, als eine Partei, die das Unbegreifliche begreifbar macht. Marx hat dies einmal so ausgedrückt: „Wir treten dann nicht der Welt mit einem neuen Prinzip entgegen: Hier ist die Wahrheit, hier kniee nieder!...Wir sagen ihr nicht: Laß ab von Deinen Kämpfen, sie sind dummes Zeug, wir wollen dir die wahre Parole des Kampfes zuschrein. Wir zeigen ihr nur, warum sie eigentlich kämpft…“[1] Man kann das auch Aufklärung nennen, um diesen zu Unrecht unmodern gewordene Begriff zu verwenden. Kant hat sie übrigens als „Entlassung des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit“ genannt. Wenn aber Unwissenheit selbstverschuldet ist, weil man sich beispielsweise nicht selbst bemüht, die unüberschaubar gewordene politische Entwicklung gedanklich zu durchdringen, dann fühlt man sich zwangsläufig selbst schuldig. Man fühlt sich ertappt, wenn da plötzlich ein Linker auftaucht, der scheinbar alles besser weiß. Und das ist genau der Punkt, weshalb sich die Linke nicht auf die eindimensionale Kommunikation der Medien oder ihrer Printerzeugnisse beschränken kann. Sie muss mit den Menschen sprechen, geduldig und hartnäckig zugleich, weil es ungleich komplizierter ist, verkehrtes Bewusstsein zu überwinden, als Botschaften zu verbreiten, die sich bequem in das bereits bestehende einfügen lassen. Dazu wirft sich natürlich die Frage auf, wo man in der Partei diese Kompetenz erwerben kann - aber dazu weiter unten mehr.

 

Wer spricht eigentlich mit wem?

Kürzlich schrieb Ursula in unserem „Roten Klassenzimmer“ die LINKE brauche „Gesichter und Persönlichkeiten, die souverän und solidarisch auftreten, gut ankommen!“  Das ist sicher richtig, sofern es nicht nur um gut ankommende Prominenz geht, sondern um Alltagsprominenz. Um einige Tausend Genossinnen und Genossen die am Arbeitsplatz, im Freundeskreis oder in ihrem lokalen Umfeld eine gewisse Deutungshoheit für politische Probleme, Prozesse und Notwendigkeiten erworben haben. Dem wird kaum jemand in der Partei widersprechen, aber wie viele Gespräche dieser Art finden wirklich statt? Wir wissen es nicht, können es auch nicht wissen, aber sollten ernsthaft darüber nachdenken, wie wir das werden können, was Lothar Bisky einmal eine „sprechende Partei“ nannte. Dazu gehört als Erstes, dass an der Basis die Durchführung von Kampagnen  durch Bildungsarbeit und vielleicht auch Rollenspiele vorbereitet, aber auch ausgewertet wird. Zweitens sollte es kein Geheimnis der Basisgruppe bleiben, wie viele Gespräche mit welchem Ergebnis geführt wurden. Wenn es der LINKEN bereits unzureichend gelingt, ihre Initiativen oder Kampagnen an der Basis flächendeckend zu realisieren, so ist die quantitative Rückmeldung eine gänzlich unbekannte Angelegenheit.

Im oben erwähnten Blog schrieb Solveigh mit offensichtlicher Ungeduld: „Reicht diskutieren angesichts der sich immer stärker vertiefenden und verschärfenden Systemkrise des Kapitalismus und der daraus folgenden immer größer werdenden Kriegsgefahr noch? Haben wir noch die Zeit, für ewiges Diskutieren?“ Ja, was denn sonst, möchte man sagen. Es kommt nur darauf an, mit wem wir diskutieren. Erstens bewirkt die Parteidiskussion natürlich überhaupt nichts, wenn wir immer nur über uns selbst reden und zweitens kommt es auch darauf an, worüber geredet wird. Geht es um die aktuelle politische Lage oder um den üblichen Orgkram, vermitteln solche Diskussion neue Einsichten oder vertiefen sie nur die alten, internen Konflikte? 

Wenn das Gespräch, vor allem mit Außenstehenden, ein entscheidendes politisches Instrument sein soll, dann bedarf es auch einer organisatorisch durchgeplanten und mit einer bis in die Kreise hineine personell abgesicherten Verantwortlichkeit. Es reicht zum Beispiel nicht Kampagnen zu beschließen, sie mit Papieren und Materialien auszustatten und darauf zu hoffen, dass sie nicht nur in den Geschäftsstellen ankommen, sondern auch die Öffentlichkeit erreichen. Der Materialberg, der sich entweder in den Geschäftstellen auftürmt, ehe das Ganze entsorgt wird, ist nach meiner Erfahrung durchaus beachtlich.

 

Starke Spitze schwacher Unterbau

Die LINKE ist gar nicht so schlecht, an der Spitze wichtige Initiativen zu entwickeln und gute Materialien herzustellen, aber es mangelt ihr am handlungsfähigen und häufig auch am handlungsbereiten „Unterbau“. Wir reden uns froh mit anerkennenswerten Beispielen, scheuen aber vor einer die ganze Partei in Blick nehmenden Analyse zurück. Wir zählen Mitglieder, Beitrageiannahmen und Stimmabgaben, sind aber äußerst zurückhaltend bei der zahlenmäßigen Erfassung von Basisaktivitäten. Wie viel Prozent unserer Mitglieder nehmen regelmäßig an den Sitzungen ihrer Basisorganisationen teil und wie hoch ist der Anteil Außenstehender, die solche Sitzungen besuchen? Welcher Anteil unserer Basisversammlungen gehört der aktuellen politischen Debatte und wie viel geht für interne Regularien oder gar Streitereien drauf? Wie viele unserer fast 59.000 Mitglieder haben jemals ein neues Mitglied geworben? 

Im 2011 erstellten Abschlussbericht der Projektgruppe LINKE 2020 heißt es: „Die Mitgliederentwicklung und – gewinnung ist zentrale Leitungsaufgabe auf allen Gliederungsebenen und mindestens vierteljährlich Thema der Vorstandssitzungen.“  Nach meiner Kenntnis ist diese Anforderung auf den gemeinten Ebenen nur selten angekommen und noch weniger beherzigt worden. Vielleicht auch deshalb, weil es bei uns selten eine regelmäßige Beschlusskontrolle und noch weniger eine persönliche Verantwortlichkeit für die Umsetzung von Beschlüssen gibt. Das Problem beginnt im Parteivorstand, wo es für fast jeden Politikbereich eine inhaltliche Verantwortlichkeit gibt: Von der Außen- und Kommunalpolitik über Geschlechter- und Jugendpolitik, bis hin zur Politik für Menschen mit Behinderungen. Was in erster Linie bedeutet, dass hier Bedarfe angemeldet oder von den Verantwortlichen Defizite in programmatischen Papieren, den Arbeitsplänen oder in der Tagesordnung kritisiert werden. Das setzt sich fort bis in die Kreisvorstände. Ein strenges Regime von der Verantwortlichkeit bis zur Präsentation nachprüfbaren Ergebnissen, gibt es fast ausschließlich für die Finanzer. Sollte man nicht darüber nachdenken, ob dies nicht auch für andere Aktivitäten gelten kann? Am Wichtigsten wäre das aus aktuellem Anlass für die Mitgliedergewinnung und – betreung. Hierfür sind in den Vorständen alle verantwortlich, was letztlich darauf hinausläuft, dass sich niemand verantwortlich fühlt.  

Wobei das Mitgliederproblem auf doppelte Weise unser wirklich zentrales Problem ist. Einmal weil von seiner Lösung die Lebensfähigkeit der Partei abhängt und zum anderen, weil die problematische Mitgliederentwicklung eine Folge zahlloser anderer Probleme ist. Nämlich der Unattraktivität unser Basisstrukturen, der schmählichen Vernachlässigung örtlicher Bildungsaktivitäten, der mangelhaften geistig-kulturellen Ausstrahlung und nicht zuletzt der selten durch persönliche Verantwortung abgesicherten Betreuung von Neumitgliedern. Vermutlich spiegelt sich dieser Mangel dann in den regelmäßig durchgeführten Streichungen aus der Mitgliederkartei wider. Das heißt, dass wir der problematischen Mitgliederentwicklung nicht etwa nur durch gezielte Werbekampagnen begegnen können, sondern zunächst einmal brauchen wir ein Parteileben, das so interessant ist, dass sie oder er gerne eintreten und dann auch gern in der Partei bleiben.

Harald Werner 19.5.2016

     

      

 


[1] Karl Marx, Briefe aus den „Deutsch-Französischen Jahrbüchern“ – MEW 1, S.345


[angelegt/ aktualisiert am  21.05.2016]