Harald Werner - Alles was links ist
 

Die Entpolitisierung des Politischen

 

Es gibt mindestens zwei Gründe für die Langeweile, die den gegenwärtigen Bundestagswahlkampf beherrscht. Der erste und wichtigste ist wahrscheinlich, dass die Politik, seit sie ihre Wirkungskraft an den Markt abtrat, ihre zentrale Rolle in der gesellschaftlichen Entwicklung verloren hat. Die Erwartungen oder Enttäuschungen der Märkte haben die Dominanz der Politik ebenso versiegen lassen, wie die Hoffnungen der Menschen enttäuscht wurde, dass Politik wirklich noch etwas bewegen kann. Ihre Hauptaufgabe scheint sich auf die Modernisierung der technologischen Basis der Wirtschaft und die Anpassung des Arbeitssystems an die Bedürfnisse des Kapitals zu beschränken. Das Zauberwort dafür heißt Innovation, was ein ebenso vielfältig anwendbarer wie irreführender Begriff ist. Martin Schulz hat das schnell gelernt, übrigens durch die Ermahnung von Angela Merkel, dass es keine soziale Gerechtigkeit ohne Innovation gibt. Wer also kein Bekenntnis zur Industrie 4.0, dem schnellen Internet und der Ausstattung von Schulen mit Computern ablegt, hat den Anspruch auf politische Gestaltungsmacht verloren. Politik beschränkt sich, quer durch die politischen Lager, auf das Streben nach technologischer Überlegenheit. Soziale Gerechtigkeit oder ökologischer Umbau reduzieren sich in den Programmen der konkurrierenden Parteien auf eine Art Beipackzettel, auf dem ein Rest von Andersartigkeit festgehalten wird.

Der zweite Grund für die Entpolitisierung des Politischen ist die hoch geschätzte Meinungsforschung, die im Grund weniger Meinungen erforscht, als dass sie welche produziert. Da der Mensche ein gesellschaftliches Wese ist, hängt seine Meinung über die gesellschaftlichen Zustände weniger von diesen Zuständen selbst ab, als von dem, was andere über diese Zustände sagen, und das sagen ihnen heute hauptsächlich Meinungsumfragen. Sie werden vor allem von denen ernst genommen, deren Erfolg unlösbar vom Anknüpfen an gesellschaftliche Meinungen abhängt - und das ist nach der Werbewirtschaft erster Linie die Politik. Die Ergebnisse von Meinungsumfragen haben deshalb die fatale Tendenz, jene Meinung zu verfestigen, die sie selbst erheben.

Im Gegensatz zu früheren Zeiten, als die Interpretation der gesellschaftlichen Probleme und Erwartungen noch durch soziale Milieus bestimmt waren, werden sie heute angeblich durch den gesellschaftlich Diskurs geprägt. Ein ebenso schillernder wie falscher Begriff, denn die scheinbar öffentliche Meinung ist, bei näherer Betrachtung, nicht mehr als die veröffentlichte Meinung. Das will man zunächst nicht glauben, angesichts einer immer bunteren und vielfältigeren Lebensweise moderner Gesellschaften. Doch die kulturelle Vielfalt beschränkt sich auf die privaten Lebensweisen, während die politische Eintönigkeit zunimmt. Es ist völlig unmöglich geworden, von einer sozialen Lebensweise, sexuellen Orientierung oder kulturellen Prägung auf ein bestimmtes gesellschaftliches Bewusstsein zu schließen. Man kann diese Entwicklung durchaus positiv finden, wäre sie nicht damit verbunden, dass den kulturellen Unterschieden das politisch Gemeinsame abhanden kommt.

 

Die Heimatlosigkeit der Linken

Marx hat in seiner Suche nach einem zur gesellschaftlichen Veränderung fähigen Subjekt nicht deshalb auf die Arbeiterklasse gesetzt, weil sie durch ihre gemeinsame Ausbeutung verbunden war, sondern durch ihren gemeinsamen Kampf. Und besonders wichtig: Durch gemeinsames Wissen darüber, wogegen man eigentlich kämpft. Nicht nur die Ausdünnung der sozialen Milieus abhängig Beschäftigter ist dafür verantwortlich, dass die Arbeiterklasse kaum noch durch Gemeinsamkeiten verbunden ist, sondern mit den äußerlichen Gemeinsamkeiten verschwand auch das gemeinsame politische Denken. Wenn es denn heute noch so etwas wie eine politische Heimat gibt, auf die sich Parteien bei den Wahlen verlassen können, so gründet sie sich mehr auf schillernde Personen und diffuse Werte, als auf gemeinsame Gesellschaftsentwürfe. Damit können alle Parteien leben, die LINKE nicht. Es könnte ihr gehen wie den Grünen, die ihr Alleinstellungsmerkmal im gleichen Maße verloren, wie sich die anderen Parteien ein ökologisches Spielbein zulegten. Sage niemand, dass die LINKE davor gefeit ist. Seit sogar Angela Merkel den gesetzlichen Mindestlohn lobt und selbst in der Wolle gefärbte Christdemokraten der Ehe für alle zugestimmt haben, sind weitere Verluste an linken Alleinstellungsmerkmalen nicht ausgeschlossen. Gramsci hat dazu den Begriff der passiven Revolution geprägt, was nichts anderes heißt, als der sozialen Revolution durch vorauseilende Reformen den Schneid zu nehmen.         

 

 


[angelegt/ aktualisiert am  30.08.2017]